Die Transparenzmaschine
»We all know we die. We all know the world is too big for us to be significant. So all we have is the hope of being seen, or heard, even for a moment.« (490)
Wo E-Hippies und Nerds sich Gute Nacht sagen
Wer älter als dreißig ist, fällt auf.
Lebe vor, wofür wir stehen
Zwischen zwei Fronten
Nach ca. 50 Seiten Lektüre zeichnet sich ab, dass nicht Mae, sondern die Firma im Zentrum steht, denn sie ist die treibende Kraft, Mae nur ihr Spielball. Der hohe Grad an sozialer Einbettung und Kontrolle – der spirit, auf den die Belegschaft eingeschworen wird – die dauernden Innovationen und Ankündigungen, die jeden Freitag in der Hall of Dreams präsentiert werden und deren Inhalt die immer hoffnungsfrohere Zukunft ist: Diese Verbindung aus Technologie und Ideologie ist die es, die den Plot vorantreibt, indem sie Mae vor immer neue Fragen und Aufgaben stellt.
Das klingt durchsichtig, funktioniert aber erstaunlich gut, da sich parallel dazu Maes familiärer Hintergrund und ihre Geschichte entfaltet – das zweite Spannungsfeld des Romans.
Da ist zum einen Annie, die beste Freundin aus Studienzeiten und mittlerweile in der Teppichetage der Firma angekommen. Ihr verdankt sie ihre Anstellung, und sie verkörpert das, was Mae anstrebt: eine selbstbewusste, erfolgreiche Geschäftsfrau, so elegant wie eloquent, so sexy wie busy.
Zu den Eltern, die irgendwo im Hinterland leben, pflegt Mae ein enges Verhältnis. Sie und ihr Ex, der Kunsthandwerker Mercer, repräsentieren eine Welt, die sie gerne hinter sich gelassen hat, weil sie ihr zu provinziell und analog ist. Dieser Konflikt stellt die andere Front in Maes Leben dar.
Und dann sind da noch Maes Männergeschichten. Sie sind so einfach wie intelligent konzipiert, da sie einander ergänzen und Maes Haltung gegenüber The Circle auf den Prüfstand stellen.
Wohin geht die Reise?
Fazit: Bei aller Bestsellerdramaturgie und trotz sehr mediokrer Figurenzeichnung ist The Circle unterm Strich lesenswert. Eggers setzt an bei der wachsenden Verbreitung, Entwicklung und Bedeutung von Social Media im Leben einer stetig steigenden Zahl von Menschen und dem Wissen, wieviel Geld und Macht in diesem Geschäftsmodell steckt.
Das Netzwerk namens The Circle wächst rasch und hat viele Lösungen für real existierende Probleme parat. Und schafft dabei neue. Es kommt daher im Gewand eines Wolfs, der Kreide gefressen hat, man kann das glaubwürdig finden oder reißerisch, wer sieht schon nach vorne. Ob gesundheitliche Vorsorge, öffentliche Sicherheit oder selbstauferlegte Moralkontrolle: Die dystopische Entwicklung ist genretypisch grell gestaltet, wirkt verkürzt, ein Highway to Hell. Für manche sicherlich ein Grund, das Buch ärgerlich zur Seite zur Seite zu legen.
Andererseits: wer kennt einen Zukunftsroman aus dem letzten Jahrhundert, der Internet, Google und Instagram vorausgesehen hat? Irgendwann mal musste ja ein Buch erscheinen, das Orwells Erbe antritt, den über 70 Jahre alten Klassiker, dessen internetlose Welt so zur Gestrigkeit verdonnert ist.
Am interessantesten fand ich abgesehen von den genannten Zukunftsvisionen die Anregung zur Frage, wieviel Transparenz wir selbst anstreben und in Kauf nehmen, um wahrgenommen zu werden und uns am Leben fühlen – und wieviel Zeit wir dafür aufwenden wollen und können. Der Roman, in dem diese Frage im Zentrum steht, muss erst noch geschrieben werden. Weder die opportunistische weibliche Hauptfigur noch der arg missionarisch daherkommende kulturpessimistische Figur des Mercer kann diesem Anspruch genügen.
Random House LLC, New York 2014.
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